{Topic} Konfession: vegetarisch – Ist Essen zur Religion geworden?
Essen und Ernährung spielen heute eine bedeutende Rolle wie noch nie. Unsere Lebensmittel sind zu Stilmittel geworden. Essen – ein Lifestyle oder schon sowas wie Religion? Ist der Esstisch zum Schlachtfeld weltanschaulicher Auseinandersetzungen geworden und hat man vielleicht sogar schon Stellung bezogen ohne es zu merken? Ich frage mich: Wie wichtig ist mir mein Essen?
„Du musst dich committen, Mann!“, sagte mal jemand zu mir bezüglich meines Beziehungsstatus auf Facebook, den ich nicht angegeben hatte. Mittlerweile scheint diese Forderung auch für unsere Essgewohnheiten zu gelten. Aber ist sie Zwang oder Drang? Und wie groß ist das Bedürfnis danach? So groß, dass auf meinem Facebook-Profil zwischen Beziehungsstatus und Beruf bald „Vegetarierin“ stehen könnte? Ist uns unser Essen wirklich so wichtig und falls es so ist – wie ist das zu bewerten? Ist das nicht schlicht Schnitzel-Schubladendenken?
Jeder is(s)t irgendwas: VeganistIn, VegetarierIn, FlexitarierIn; bio, paleo, glutenfrei…die meisten sind #foodie ganz generell – was immer das heißt, aber ich bin es laut meines Feeds auf Instagram auch :P. Ist Essen zu meiner Ersatzreligion geworden ohne dass ich es bemerkt habe? Ich gebe es nicht gerne zu, aber eine Weile war ich nicht nur ein Foodie, ich war schon eher auf dem Weg zum „Faschoodie“ (‚faschistischer Foodie‘). Ich war Vegetarierin, habe gar kein Gluten, dafür natürlich nur Bio gegessen und nachhaltig sowieso. Ich wollte es einfach richtig machen. Alles. Richtig richtig! Richtig für mich, für die Bäuerinnen und Bauern, die Tiere – 3 x täglich Weltrettung quasi und zwar morgens, mittags und abends. Ohne Ausnahme.
Übrigens, Weltrettung gibt’s nicht umsonst. Meine Lebensmittelausgaben waren enorm. Scientology-Preise hab‘ ich bezahlt! Stressig war das Ganze obendrein. Nicht nur für mich, sondern auch für alle um mich herum. Irgendwann kam ich dann an den Punkt, an dem klar war, dass meine Ernährungsweise keine Welt retten wird. Schon gar nicht meine. Bei meinem rein nach Aussen gerichtet Blick auf die Produzentinnen, die Tiere, die Umwelt hatte ich übersehen, dass Nachhaltigkeit auch mich betrifft und dass ich meine Ressourcen auch schützen muss.
Ich bin nach wie vor Vegetarierin, esse immer noch kaum Gluten, Bio und Nachhaltigkeit sind mir auch heute wichtig. Aber es gibt jetzt Grenzen. Für mich finde ich es besser, mal ein Stück glutenhaltigen Kuchen/Brot zu essen, wenn ich zB. wo zu Gast bin oder Gäste habe. Obst und Gemüse auch mal günstig im türkischen Geschäft zu kaufen und nicht immer nur am Markt oder als Vegetarier Fleisch für meinen Hund zu kochen (auch wenn die kleine Kokos Porridge gern hat ;-)), finde ich auch in Ordnung.
Gleichzeitig verstehe ich den Vegetarismus weiterhin nicht nur als eine Ernährungsweise, sondern eine Haltung, die sich zwar vordergründig in den Essgewohnheiten äußert, aber eben nicht nur dort. Was das konkret im Alltag für mich bedeutet? Ich achte eben nicht nur beim Einkauf von Lebensmittel auf vegetarische Produkte, sondern auch bei Kleidung oder Kosmetik und kaufe bevorzugt regionale sowie fair oder direkt gehandelte Produkte. Ganz unreligiös, einfach nach besten Wissen und Gewissen ohne daraus eine Staatsaffaire zu machen.
Für mich steht fest: Vegetarierin zu sein, ist keine Berufung. Fisch zu essen ist im Übrigen aber auch kein Vegetarismus und Essen keine Religion. Die Angabe des Bekenntnisses ist also nicht nötig. Am besten wir entspannen mal wieder.
Mein Facebook-Beziehungsstatus ist immer noch unbekannt. Im echten Leben bring‘ ich meinem Freund mal einen Döner mit.